Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.05.1992: Kreimeier, Klaus: Die Ufa-Story
Propagandazentrale und Nationalkonzern; technisches Experimentierfeld der Avantgarde und “Bauhütte” der Filmkunst; Kathedrale deutscher Innerlichkeit mit Raum für Visionäre und Tüftler, aber auch Platz für iibertinäre Lustbarkeiten und die Errungenschaften der modernen Zivilisation; vor allem jedoch: Retorte aller schönen und bösen Träume der Deutschen. Das war die Ufa, eine Institution, in der sich dieses Jahrhundert in all seinen Schattierungen spiegelt.
Wer die Geschichte dieses Filmkonzerns erschöpfend schildern will, muß mehreres zugleich sein, in erster Linie Filmhistoriker und Zeitgeschichtler. Aber auch von Wirtschaft und Finanzen, von der Entwicklung in Naturwissenschaft und Technik muß er etwas verstehen, sollte sich auskennen in Architektur und Design, Literatur und Musik, doch auch Gespür haben für Beeinflussung und Mentalität der Massen, wie sie etwa aus der Reklame, dem Starkult oder dem Freizeitverhalten abgeleitet werden können.
Klaus Kreimeier, der nun anläßlich der fünfundsiebzigjährigen Wiederkehr dieser Firmengründung erstmals die “Ufa-Story” erzählt, bringt alle diese Voraussetzungen mit und verfügt auch über das Talent, die vielen unterschiedlichen Aspekte souverän zu verknüpfen und dem Leser als durchgehend spannende Geschichte zu präsentieren. Was wir vor uns haben, ist ein Glücksfall deutscher Kulturgeschichtsschreibung: Auf der Basis enormen Kenntnisreichtums entstand ein ebenso informatives wie unterhaltsames Buch.
Wie ein Generalbaß durchzieht Kreimeiers Darstellung die These von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Obwohl die Geburt der Ufa zunächst ein militärpolitisches Anliegen war und nach ihrem Befürworter Ludendorff im ausgehenden Ersten Weltkrieg dazu dienen sollte, als “Aufklärungs- und Beeinflussungsmittel” den erlahmenden Kampfesmut an der Heimatfront zu stärken, opponierte das neugeschaffene Propagandainstrument doch schon bald gegen den “wilhelminischen Hausarrest” und entwickelte seine Eigengesetzlichkeit. Dieser Dualismus sollte sich als konstitutiv erweisen: Den politischen Programmplanern an der Spitze – einer von Beginn an nationalkonservativen und autoritären Spitze – stehen die Programmacher gegenüber, und das sind in der Mehrzahl die sensiblen Geister der Epoche, nervöse Intellektuelle und experimentierfreudige Weltbürger.
Besonders deutlich wird dies beim Blick auf die große Zeit des deutschen Films in den zwanziger Jahren. Kreimeier beschreibt die Filmproduktion der Weimarer Republik im Rückgriff auf den amerikanischen Kulturhistoriker Peter Gay als Domäne der Außenseiter. Anhand feinfühlig differenzierter Porträts repräsentativer Ufa-Mitarbeiter zeigt er, welche Strömungen damals in diesem Betrieb vorherrschten. Da waren einmal Köpfe wie Paul Wegener, Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau, die mit ihrer “neoromantischen Neigung zu vorindustriellen Bilderwelten” die spezifisch deutsche Linie verkörperten. Ihre Arbeiten galten schon den Zeitgenossen als “Beleg dafür, daß die Deutschen nicht nur mit ihren Filmen, sondern auch in ihren Wunschprojektionen und Wahnvorstellungen einen faszinierend-gefährlichen Sonderweg eingeschlagen hatten”.
Doch diese Ausgeburten einer auf die Nachtseiten, auf das Grauen hinter altdeutscher Idylle gerichteten Phantasie in ihrer mitunter germanischen Schwere wurden von Anfang an ergänzt und konterkariert von Vertretern einer wendigen, typisch urbanen Intellektualität. Der gewissermaßen westliche Antitypus eines Lubitsch, eines Richard Oswald oder Reinhold Schünzel stand für Witz, Ironie und Gesellschaftskritik, sorgte für Geschichtsdemontage, indem er das Erhabene lächerlich machte, nobilitierte durch Kunstfertigkeit das Frivole und Triviale und wappnete dergestalt ein zunehmend vergnügungssüchtiges Publikum gegen die “Zumutungen der Geschichte”. Sowenig die Weimarer Demokratie unvermeidlich dem Untergang zustrebte, weil sie ein Kraftfeld der unterschiedlichsten Positionen und Möglichkeiten war, so führte auch der Weg des deutschen Films mitnichten “von Caligari zu Hitler”, wie die berühmte Untersuchung Siegfried Kracatiers glauben machen wollte.
Zu den großen Vorzügen von Kreimeiers Analyse gehört, daß er die “wohlfeilen Distanzierungsrituale linker Kulturkritiker” zurückweist, die bereits früh die deutsche Filmgeschichtsschreibung sehr zu ihrem Nachteil bestimmten. Mit “dem Revolutionären” als einzigem Maßstab übersah ein Kracauer die Ambivalenzen der Geschichte und verfiel in eine “schwarze Teleologie”, die man ihrerseits als auf verhängnisvolle Weise deutsch bezeichnen könnte. Doch auch wenn Nachgeborene wie Frank Trommler und Jost,Hermand behaupten, die Loyalität des Ufa-Konzerns habe nie dem Staat von Weimar gegolten, sondern “den Geldgebern, den Banken und der Industrie”, in deren Interesse man lediglich Material zu “ideologischer Verdummung” verfertigte, so unterstellen sie damit, wie der Autor zu Recht anmerkt, “die Existenz einer ideologischen Zentrale, die eine infame Strategie zur Betäubung der Massen verfolgt”. Eine solche Zentrale hat jedoch, zumindest in den zwanziger Jahren, nicht existiert, und als es sie schließlich gab, vermochte sie nicht alleinbestimmend zu werden.
Erfreulich ist auch, wenn Kreimeier immer wieder betont, daß die gängige Filmkritik von links seit Tucholskys Diktum “Hier Kunst! Hier Kino!” aus einer kulturkonservativen Position heraus argumentierte. Sie blieb bildungsbürgerlichen Vorstellungen verhaftet und übersah dadurch das subversive Potential, das in all den Kostümfilmen, Lustspielen, Filmoperetten und -revuen der zwanziger und der frühen dreißiger Jahre lag, die beharrlich die Unterscheidung zwischen E- und U-Kuitur ignorierten, das deutsche Askese-Prinzip abwehrten und die Gieichsetzung gehobenen Geschmacks mit gepflegter Langeweile durch eine oftmals rasante Aggressivität außer Kraft setzten.
Mochte die Übernahme des Konzerns durch Hugenberg 1927 auch eine “präfaschistische” Ära einleiten, mochte der politische Rechtsrutsch seinen Ausdruck finden im Anzeigenstopp für linke Blätter oder in der Weigerung, für die Verfilmung von Remarques pazifistischem Roman “Im Westen nichts Neues” Synchronisations-Ateliers und Kinos zur Verfügung zu stellen – die künstlerische Autonomie der Filmproduktion blieb unangetastet dank der Vielzahl von Begabungen, die für die Ufa neben leichter Kost und Preußenkitsch eine ganze Reihe von Filmen herstellten, die der neuen “Generallinie” keineswegs entsprachen. Erinnert sei nur an Pabsts deutlich vom Sowjetfilm beeinflußten Streifen “Die Liebe der Jeanne Ney” nach einem Drehbuch von Ilja Ehrenburg, an Sternbergs “Blauen Engel”, an dem der erklärte Ufa-Feind Heinrich Mann entscheidenden Anteil hatte, oder an Robert Siodmaks “Abschied”, den vielleicht schönsten Film der späten Weimarer Zeit, dessen poetischer Realismus demonstrierte, daß auch zu diesem Zeitpunkt noch “Avantgardismus und Kommerzialität” nicht unversöhnlich voneinander getrennt sein mußten.
Im übrigen gab sich die Ufa gerade zu Beginn der dreißiger Jahre “bemerkenswert weltoffen” und kooperierte im Zeichen des aufkommenden Tonfilms besonders mit jenem Land, dem sich die Chefetage in tiefer Erbfeindschaft verbunden wußte: Die deutsch-französische Zusammenarbeit in Sachen Film überlebte bruchlos die Zäsuren von 1933 und sogar 1940, ein Kapitel, das der Autor leider nur streift. Schließlich sind so unverwechselbar französische Meisterwerke wie Grémilîions Gueule d’amour und L’étrange Monsieur Victor oder L’Herbiers Advienne Lecouvreur 1937 beziehungsweise 1938 in den Ufa-Ateliers von Babelsberg entstanden. Hier waren wirtschaftliche Gesichtspunkte entscheidend, und diese Priorität wurde auch von der Diktatur der Reichsfilmkammer und der endgültigen Verstaatlichung 1937 kaum verrückt.
Zwar faßte bereits am 29. März 1933 der Ufa-Vorstand, dessen Vorsitzenden, Emil Georg von Strauss (Deutsche Bank), Hitler zum Vizepräsidenten des Reichstags machte, in vorauseilendem Gehorsam einen Beschluß zur Entlassung jüdischer Mitarbeiter. Doch das deutsche Kinopublikum erlebte im Jahr der Machtergreifung geradezu eine späte Idee sämtlicher Sumpfblüten der “Systemzeit”, die da als Kokotten, Schieber, Verbrecher und moralisch bedenkliche Lebensgenießer in den Uraufführungen von 1933 über die Leinwand flimmerten. Diese Unterströmung antiheroischer Satire sollte bis zum Ende des “Dritten Reiches” nicht versiegen. “Gespaltenes Bewußtsein”, das Hans-Dieter Schäfer als Charakteristikum der NS-Zeit erkannt hat, herrschte damals auch bei der Ufa. Diese hatte mit der Todesmystik von Gustav Ucickys “Morgenrot” – “Zu leben verstehen wir Deutschen vielleicht nicht besonders; aber sterben, das können wir fabelhaft” – den neuen Herren die passende Morgengabe geliefert, überließ dann aber die Herstellung regimeverherrlichender oder antisemitischer Propaganda größtenteils den kleineren Filmgesellschaften wie Terra und Tobis.
“Im Innern des Riesenschiffs Universum-Film-GmbH waren die Stimmungen gemischt; die Zahl der überzeugten Parteigänger war klein”, bilanziert Kreimeier die Situation. Auch die Ufa-Schauspieler ließen sich nicht auf Nazi-Image trimmen. Was hatten schließlich die exotische Zarah Leander oder die verweinte “Reichswasserleiche” Kristina Söderbaum, der verschmitzte Heinz Rühmann oder der harmlose Willy Fritsch mit dem “neuen deutschen Menschen” gemeinsam? Selbst ein so arisches Prachtexemplar wie Viktor Staal mußte durchschnittliche Liebhaber spielen und verkörperte dabei nicht selten an der Seite starker Frauen den ichschwachen, ganz und gar unheldischen Hallodri. Noch die von Goebbels höchstselbst in Auftrag gegebenen Prestigeprojekte waren nicht frei von Ambiguitäten: So zeigte etwa der legendäre “Kolberg” neben seinem Durchhaltepathos auch die Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg und rückte damit in bedenkliche Nähe zu Filmen wie “Via mala” oder “Große Freiheit Nummer Sieben”, die wegen Pessimismus und “Defätismus” verboten wurden.
Dennoch: Die Ufa hatte sich bei aller Widerborstigkeit, die der Autor in den Protokollen der Vorstandssitzungen und in anderen Dokumenten ausfindig machen konnte, dem Unrechtsstaat Hitlers auf Gedeih und Verderb verbunden. Die Wiederbelebungsversuche nach 1945 scheiterten. Immerhin existiert die “Ufa-Film GmbH in Liquidation”, juristisch gesehen, noch heute. Geblieben aber ist vor allem ihr Mythos, der Mythos vom gefährlich schillernden Bilder-Imperium der Deutschen in ihrem turbulentesten Jahrhundert. In diesem üppig ausgestatteten Buch wird er faßbar und anschaulich.
Verena Lueken
Klaus Kreimeier: “Die Ufa-Story”. Geschichte eines Filmkonzerns. Carl Hanser Verlag, München 1992. 520 S., 130 Abbildungen, geb., 68,- DM. Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main