Kino-Zeit, 21. März 2012

Traum und Exzess – Die Kulturgeschichte des frühen Kinos

Bis zum Kino

Traum und Exzess – Die Kulturgeschichte des frühen Kinos ist das schriftliche Zeugnis und Ergebnis des Forschungsprojekts “Industrialisierung der Wahrnehmung”, das der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier von 2001 bis 2008 an der Uni Siegen betreute. Es ging dabei im Besonderen um die Entwicklung und Ausbreitung der frühen Wanderkinos und um die Etablierung ortsfester Kinos im deutschsprachigen Raum.

In Traum und Exzess holt Kreimeier (Die Ufa-Story) enorm weit aus und fügt die umfangreichen Recherchen und die gewonnenen Erkenntnisse zu einer eigenständigen Kulturgeschichte zusammen, die den Film zwischen 1895 und 1914 in das Umfeld seiner Zeit stellt. Das Resultat ist eine sehr beachtliche Filmgeschichte, die besondere Sorgfalt auf die gesellschaftlichen, kulturellen und mediengeschichtlichen Kontexte ihres Gegenstandes verwendet.

Als “Industrialisierung der Wahrnehmung” bezeichnet der Autor die Entwicklung in jener Zeit, weil der Umgang mit dem Medium Film damals zunehmend standardisiert wurde. Für Kreimeier ist es nicht die Erfindung des Films um 1895, die einen Medienumbruch markiert, sondern erst seine kulturelle Einbettung um 1905, als erste ortsfeste Kinos entstanden, und ab 1910, als diese Kinos damit begannen, längere Filmdramen vorzuführen. Der Erfolg des neuartigen Unterhaltungsangebots habe die etablierte Hierarchie der verschiedenen Unterhaltungsinstitutionen grundlegend verändert und zu einer Neuordnung geführt, innerhalb derer die Varietés wesentlich an Bedeutung verloren und die herkömmlichen Theater sich mehr und mehr zu nichtkommerziellen Bildungsinstitutionen entwickelten. Der Film hingegen sei durch seinen kommerziellen Erfolg in den Kinos zum Leitmedium des 20. Jahrhunderts geworden.

“Wenn sich ein neues Medium etabliert – und, wie in diesem Fall, sich zum ersten modernen, (audio)visuellen Massenmedium der Geschichte entwickelt -, beeinflussen technologisch widerstreitende oder sich ergänzende Konzepte ebenso wie unterschiedliche Geschäftsmodelle den Prozess”, so Kreimeier. “Die Bedingungen, unter denen Filme entstehen, sind ebenso relevant wie diejenigen, unter denen sie an die Öffentlichkeit gelangen, ihr Publikum zu gewinnen suchen und von diesem wahrgenommen werden.”

Der Autor befasst sich aber längst nicht nur mit den Kinos und den anderen Unterhaltungsetablissements der Zeit, sondern ausführlich und analytisch auch mit den Filmen, die damals liefen, mit ihren Eigenarten, ihrem ästhetischen und inhaltlichen Gehalt. Rund 350 Filme bringt er ins Spiel bzw. Buch und stellt sie wie das Kino selbst in größere Zusammenhänge und in das Umfeld ihrer Zeit. Bei Kreimeier werden die frühen Jahre des Kinos zu einem zentralen Kapitel in der Geschichte der Moderne.

Stefan Otto

Titel: Traum und Exzess – Die Kulturgeschichte des frühen Kinos

Autor: Klaus Kreimeier

Erscheinungsort: Wien

Erscheinungsdatum: 2011

Seiten: 414

Verlag: Paul Zsolnay Verlag

ISBN: 978-3-552-05552-0