Die Anfänge der Traumfabrik

Esslingen (gw) – Wenn wir uns heute mit den Anfängen der Filmkunst befassen, ist es nur schwer vorstellbar, welch tiefen Eindruck dieses damals so revolutionär neue Medium beim zeitgenössischen Publikum hinterlassen hat. „Das Kino ist die Kunst des industriellen Zeitalters“, sagt der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier.„Ein enormer Aufwand an Technik, Kapital und Logistik ist nötig, bis die Träume des Publikums über die Leinwand schweben. Mit dem Siegeszug des Kinos hat sich nicht nur ein neues Medium durchgesetzt, auch unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit hat sich verändert.“ Diesen Gedanken vertieft Kreimeier in seinem Buch „Traum und Exzess“ (Zsolnay-verlag, 24.90 euro), das auf mehr als 400 Seiten die Kulturgeschichte des frühen Kinos untersucht. Der Autor spannt den Bogen von den Wanderkinos auf den Jahrmärkten bis zu den Kinopalästen in den Metropolen, von den ersten cineastischen Experimenten bis hin zu den abendfüllenden Epen der Stummfilmzeit. Und er lässt seine Leser etwas von dem ungläubigen Staunen nachvollziehen, das viele Zuschauer damals gepackt hat, wenn sie in wegweisenden Produktionen wie „Die Reise zum Mond“ von George Méliès  miterleben durften, wie die Bilder nicht nur laufen lernten, sondern auch neue Horizonte erschlossen.

Kreimeier gehört zu den profundesten Kennern früher Filmgeschichte. In seinem neuen Buch führt er die aktuellsten Forschungsansätze zusammen. Der Autor versteht es, das Kino dieser Zeit in seinen kulturhistorischen Kontext einzuordnen. Anhand vieler Beispiele aus dem cineastischen Fundus lässt er deutlich werden, wie technischer Fortschritt und ästhetische Strömungen Hand in Hand gingen und wie sich bereits im Kino der frühen Jahre Entwicklungslinien herausbildeten, die sich bis heute nachzeichnen lassen. So lässt Kreimeier auf anschauliche Weise deutlich werden, wie der Film zum Massenmedium wurde, das sich aus seiner Zeit heraus entwickelte, seinerseits aber auch die Zeit zu prägen begann.

Eßlinger Zeitung, 10.November 2011