Untergang im Hinterhof

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Chausseestraße 123,  Berlin

Titanic – In Nacht und Eis wurde an der Ostsee, am Grüpelsee in Brandenburg und im Hinterhof der Chausseestraße 123 in Berlin produziert.

“In einem ehemaligen Fotoatelier unter einem Glasdach im Dachgeschoss arbeitet hier der Filmpionier, Technikfreak und Kameramann Guido Seeber mit der Deutschen Bioscop GmbH seit 1909. Unter anderen entstehen hier die ersten acht großen Filme des Stummfilmstars Asta Nielsen, ehe das Unternehmen neue Produktionsstätten in Potsdam-Babelsberg errichtet. Von 1912 bis 1918 hatte die Continental-Filmkunst in der Chausseestraße 123 ihren Sitz.
Ein Reporter des Berliner Tagblattes berichtete über die Dreharbeiten: “Aus den Fenstern der Hinterzimmer sehen, halb neugierig, halb ängstlich, die Mitbewohner auf das seltsame Treiben da unten. Also ein “Aufbau” wie auf jeder Bühne, nur plein air. Auf die Leinwand ist die Dekoration des Kesselraums gemalt, wirkliche Manometer und wirkliche Luken, durch die dann Dampf und Feuer kommen wird (…). Wirkliche Kohlen werden zugeschaufelt und starke Männer stehen rechts und links von der mit Segeltuch überdeckten Szene, an Riesenfässer gelehnt, aus denen Sturzwellen fließen werden. Ein paar halbnackte Gesellen, berußt, naß, mit wirrem Haar, warten auf das Zeichen des Regisseurs, um die Verzweiflungs-Botschaften des Kapitäns zu vernehmen, der, mit angeklebtem weißem Spitzbart natürlich, im marineblauen Rock inzwischen noch mit den Kurbelmännern an den kinematographischen Apparaten berät. Dann geht´s an. Durch eine nicht allzu komplizierte mechanische Vorrichtung wird die ganze Bühne ins Schaukeln gebracht. (…) Die Komödianten waten über die nasse Leinwand, wälzen sich in den Kohlen, taumeln und fallen in den Maschinenraum, der Kapitän schreit und reißt mit verzweifelten Gebärden an einem Heizer herum, der im Wasser schwimmt. (…). Ein paar Augenblicke war´s wirklich sehr aufregend. Jetzt wird abgebaut. Der Briefträger geht durch den Chausseestraßenhof, über den die Wellen der “Titanic” eben in den Abflußkanal strömen.”
Strandgut mittlerer Güte

TRAUM UND EXZESS, S. 275 f.